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Amerikabilder
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Amerikabilder nennt Franz Zadrazil im Gespräch seine
neuen Arbeiten, und in dieser lapidaren Titelgebung kommen
ebenso sein Understatement und seine Abneigung gegen alle
theoretischen Prätentionen wie sein Interesse für
die Topoi und Chiffren der Massenkultur zum Ausdruck.
Mit Amerika ist hier ausschließlich New York gemeint,
Zadrazil, ein Maler der Stadt, der lange Zeit Wien zu
seinem einzigen Thema gemacht hatte, dann Italien und
Westeuropa bereiste, geht nun noch weiter weg vom Ausgangspunkt
und sieht eine Stadt, welche wie keine andere als prototypisch
für das ausgehende 20. Jahrhundert empfunden wird.
Diesen Rang verdankt die Stadt nicht allein ihrer Größe
oder etwa einer besonderen Modernität der äußeren
Erscheinung. Hier wohnen Menschen unterschiedlichster
Herkunft aus allen möglichen Kulturkreisen und das
führt zu einer Fülle, Dichte und einem Abwechslungsreichtum
visueller Faktoren im Bild der Stadt. Darin liegt die
Affinität von Motiv und Maler begründet. So
ist denn auch das bemerkenswerteste Charakteristikum der
neuen Bilder in ihrer Dichte zu sehen. Der Maler, stimuliert
durch das New York Erlebnis, erreicht ein neues Niveau
der Vernetzung von Kolorit, spontaner malerischer Textur,
strukturierender Ordnungssysteme serieller und aleatorischer
Art und, auf einer weiteren Ebene, zahlloser semantischer
Zitate.
Dabei sind es eigentlich nur zwei Instrumente, durch welche
die Bilder entstehen: Farbe und Oberfläche. Der Maler
verzichtet konsequent auf alle brillierenden Effekte etwa
der Perspektive oder Beleuchtung und wählt, hierin
in Übereinstimmung mit weiten Bereichen der zeitgenössischen
Malerei, die zweidimensionale Flächigkeit zum Medium
seiner Arbeit. Dem entspricht auf der inhaltlichen Ebene,
daß das Dargestellte selten aus realen plastischen
Objekten besteht, deren Abbildung illusionistisch hervorgebracht
wird, sondern mehrheitlich aus eigentlich flächigen
Zeichen gebildet wird. Und nur so kann auch die Farbe
zu jener Autonomie kommen, welche kennzeichnend für
ihre Rolle in der Moderne ist. Bei Zadrazil tritt die
Farbe von Beginn seiner Arbeit an in dichten, gesättigten,
opaken Tönen auf. Es dominiert ein Grau von hellen
bis dunkelsten Tönen. Während in früheren
Bildzyklen oft große blaue und gelbe Farbflächen
hinzutraten, ist jetzt ein stumpfes Flaschengrün,
ein Braun, Rot von Lachsrosa bis Ziegelrot und Violett
kontrastierender Widerpart der Grauskala. Diese Farben
haben eine gewisse profunde Schwere und matte Trockenheit;
Trockenheit hier nicht als Eigenschaft der Oberfläche,
sondern der Farbe selbst verstanden. Niemals wirkt sie
feucht oder süß. Im Gegensatz zur abstrakten
Leuchtkraft der prismatischen Farben ist ihnen eine erdig-pigmenthafte
Sinnlichkeit eigen. Es sind Farben die vielleicht von
einem Teil des Publikums als nicht bunt genug empfunden
werden, die aber unzweifelhaft im Zusammenhang mit jenem
malerischen Bezirk gesehen werden müssen, welcher
nur mit dem Begriff "Peinture" gekennzeichnet
werden kann. Die Konzeption der Peinture in der Geschichte
der Malerei läßt sich sicherlich weit zurückverfolgen,
aber zur eigentlichen Entfaltung kommt diese Form der
Malerei erst im 20. Jahrhundert. Picasso, Braque, Gris
und De Chirico sind Hauptmeister und kürzlich hat
die Ausstellung der Bilder von Sandro Chia in Wien die
unverminderte Präsenz dieser Haltung in der Gegenwart
gezeigt. Gerade ein Vergleich mit amerikanischen Fotorealisten
und ihrem direkt durch die gesteigerte Farbigkeit der
Diapositive bestimmten Kolorit macht die Unterschiede
und die spezielle Position Zadrazils deutlich. Dem entspricht,
daß Zadrazil seine Farben ausschließlich nach
autonom malerischen Gesichtspunkten entwickelt und die
Fotos nur als Schwarzweißnegative und als Ausgangspunkt
für die kompositionelle und thematische Strukturierung
des Bildes benutzt.
Der Prozeß des Malens, in dessen Verlauf sich die
Farben konstituieren, besteht aus sehr unterschiedlichen
Verfahren. Zadrazil ist in seiner Einstellung zur handwerklich
technischen Seite der Malerei kein Dogmatiker. Er verwendet
gleichermaßen die Ölfarben des Profikünstlers
wie die Handwerkerfarben und Lacke des Anstreichers. Es
wechseln mit äußerster Präzision ausgeführte
Bildteile mit solchen, in denen durch Ubereinanderschichten
und Wiederabkratzen der Farbe Zufallsstrukturen entstehen,
die denen wirklicher Fassaden gleichen. Der Maler vollzieht
Korrosions- und Alterungsprozesse nach, welche sich an
den Vorlagen seiner Motive im Laufe mehrerer Generationen
ausgewirkt haben. Besonders auffallend in den neuen Arbeiten
sind Bildteile, welche von einem spontanen Duktus der
Pinselsprache bestimmt sind, an anderen Stellen gibt der
Maler an sich deckenden Farben den Charakter lockerer
Transparenz. Die Zufallselemente differenzieren die Hauptkontraste
des Kolorits und treten in Spannung zu den oft streng
geometrischen Strukturen, welche durch die Architektur
der Motive bedingt sind. All diese Verfahren bilden eine
dichte malerische Oberfläche (im Zusammenhang mit
einer ganz anderen Malerei hat beispielsweise Markus Küpertz
von der Schaffung der malerischen Oberfläche als
eigentlichem und schwerstem Problem des Malers gesprochen)
und durch sie entsteht schließlich die inhaltliche
Ebene des Bildes.
Das Motiv ist gemeinsam mit Farbe und Oberfläche
das dritte wesentliche Element der Bilder und es steht
hier bei der imaginativen Konzeption am Beginn. Zadrazil
braucht das persöliche Erlebnis als Inspirationsquelle;
das heißt, seine Bilder enstehen nicht nur synthetisch
in seinem Kopf und seinem Atelier, sondern in Auseinandersetzung
mit überpersönlicher sozialer Wirklichkeit.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auf Mißverständnisse
bei der Rezeption seiner Arbeit einzugehen. Von Anhängern
eines ästhetischen Purismus wird die Entfernung der
Semantik, des Themas zugunsten der vermeintlichen Autonomie
der Malerei gefordert. Bekanntlich glaubte Kandinsky,
durch die Entfernung des Themas aus dem Bild, die Malerei
von einem Ballast befreit zu haben. Demgegenüber
haben aber sehr viele und gerade einige der bedeutendsten
Maler des 20. Jahrhunderts keineswegs auf Zeichen für
Figuren oder Objekte in ihren Bildern verzichtet. Ja,
man kann durchaus davon sprechen, daß die Bündelung
ästhetischer und spiritueller Faktoren in seinem
Werk gerade der österreichischen Kunst entspricht
und auch international heute eine besondere Aktualität
hat. Im Gegensatz zu Stellungnahmen dieser Art steht eine
Auffassung, welche das Kunstwerk als ein im wesentlichen
soziales und historisches Dokument deklariert. Natürlich
ist jedes Kunstwerk auch Dokument für die Kultur
in der es hergestellt wurde. Worin aber der Unterschied
liegt, zeigt folgender Gedanke: Man stelle sich eine Tageszeitung
von 1906 unter Glas als Schmuck an der Wand vor. Verglichen
mit einem guten Bild würde sich die Wirkung der Zeitung
rasch abnützen, wiewohl sie ein exaktes Dokument
für ihre Gesellschaft ist. Der Informationsgehalt
ist nach einmaligem Lesen erschöpft, während
nach Max Benses Informationstheorie das Kunstwerk durch
einen Informationsüberschuß auf allen Kodierungsebenen
gekennzeichnet ist. (Dichte). Demzufolge wäre ein
Unterschied zwischen einem beliebigen kulturellen Dokument
und der konzentrierten Darstellung von Lebenshaltungen
(Attitüden) und Identität, welche immer das
utopische Element mit umschließt. Das gute Bild
hält einer wiederholten, ja dauernden Betrachtung
stand und es hält stand, weil es ein Stück Leben
und damit eine Herausforderung zur Identifikation enthält.
Vielleicht ist es möglich, davon zu sprechen, daß
Zadrazil auch in diesem Sinne auf der Suche nach seinen
Motiven die Städte erlebt. Er identifiziert sich
mit den Gestalten der Schriften und Symbole, welche er
in seinen Bildern wiedergibt, er begreift diese als Objektivierung
der Mythen des Alltags, entstanden in den Gedanken der
Menschen und auf den Fassaden sichtbar geworden. Insofern
ist Zadrazil kein Realist für den das äußere
Bild der Dinge, der Augenschein, das Wesentlichste ist,
sondern ihn interessiert der Zusammenhang dieses Augenscheins
mit Lebensformen - bestimmten Lebensformen, denn es ist
für ihn keineswegs gleichgültig, wo er auf die
Suche nach seinen Motiven geht. Städte, deren Bewohner
zur perfekten Gestaltung ihres Ambientes neigen, bieten
Zadrazil kein geeignetes Forschungsfeld, so wie ihn natürlich
auch niemals die Bauten offizieller, staatlicher Repräsentanz
und ähnlicher Wahrzeichen interessieren. Was ihn
berührt, ist das verblichene Relikt einer eigensinnigen
Reklame, die Häufung von Namensschildern ehemaliger
Besitzer an der Front eines Greißlers oder die linkisch
sorgfältige Bemühung eines Schildermalers, der
keine von Experten entworfenen, international standardisierten
Schriftvorlagen benützt. In diesen, sich gleichsam
wie Zeitschichten auf den Fassaden aufprägenden Zeichen
findet Zadrazil die Mythen des "Kleinen Mannes"
und versammelt sie auf seinen Bildern zu Ensembles der
Authentizität. Die Auswahl dieser Zeichen entspringt
nicht einem rationalen Kalkül, sondern wird ausschließlich
durch die emotioneile Berührtheit des Malers bestimmt,
und so hat die größenwahnsinnige Selbstdarstellung
eines Optikers auf seiner Geschäftsfassade ebenso
ihren Platz in Zadrazils Bildern wie die gutgemeinte Zusicherung
der Aussicht auf die warme Stube dank Kohlkoks. Der Maler
sammelt diese "leisen Explosionen", zeigt ihre
Koexistenz auf den Häuserwänden und ihr langsames
Verlöschen im Zuge des Alterns. So werden die Bilder
zu Paradigmen menschlicher Existenz, und durch die Objektivierung
aller Impulse auf den Fassaden wird die Haltung des Beobachters
möglich, welcher lächelnd die Absurdität
allen Mühens konstatiert. Eine eminent österreichische
Haltung und es wurde ihr immer wieder ein resignativer
Grundzug attestiert, aber sie steht in fundamentalem Gegensatz
zu allem Perfektionismus totalitärer Art. Schon immer
galt ja Wien als die Stadt der ewigen Provisorien, des
Fortwursteins (Sir C.Popper hat in seiner Philosophie
die Haltung des Fortwurstelns, des Stückwerks, als
eine der humansten Lebenseinstellungen überhaupt
gekennzeichnet), und nur als Hommage an die Menschen des
naiven Pragmatismus ist Zadrazils Arbeit letztlich verständlich.
Wenn Zadrazil nun nach Amerika fährt, so interessiert
ihn selbstverständlich nicht die Gigantomanie der
Wolkenkratzer oder die perfekten Kommunikationszeichen
internationaler Konzerne. Für ihn ist New York einfach
die bedeutendste Ausprägung des Städtischen,
Zivilen, und dabei ignoriert er souverän jene Aspekte
des Lebens in dieser Stadt, welche heute gewöhnlich
mit ihr assoziiert werden (Geschwindigkeit, Hetze, Kriminalität).
Er gestaltet sich aus dem real aufgesuchten ein persönliches
New York. In den Vierteln abseits der Investitionswellen
findet er die Zeichen der Alltagskultur in unabsehbarer
Fülle und Dichte. Der Maler registriert, sammelt,
und in der Imagination entstehen aus diesen Fragmenten
die Bilder, das heißt, noch weniger als früher
sind hier Abbilder realer Situationen gemalt, sondern
der Maler komponiert frei aus der Fülle des gefundenen
Materials. Mit großer Sicherheit werden die Zitate
in serielle Ordnungssysteme eingespannt; dabei wird die
Logik dieser Systeme immer wieder durch Unregelmäßigkeiten
und Asymmetrien gestört (der Unterschied im Selben).
So werden Ordnungen der Fenster und Feuerleitern (die
Feuerleiter, ein in zahllosen Filmen figurierender Topos,
Zadrazils Vater war in den fünfziger Jahren Filmvorführer
in der Wiener Innenstadt) oder der Raster einer Ziegelmauer
irgendwo unterbrochen. Eine besondere Eigenheit der neuen
Bilder ist das Auftreten des Menschen in ihnen. Während
frühere Arbeiten oft durch einen geometrisch-abstrakten
Charakter geprägt waren und nur die Schrift der Affichen
als Kontrapunkt hinzu kam, tritt nun in vielen Bildern
der Mensch als liebenswürdig-naiver Aquisiteur seiner
jeweiligen Botschaft auf. Der Mann des von "American
Gotic" bekannten und zum amerikanischen Symbol gewordenen
Farmerehepaares trägt nun statt der Heugabel einen
Pinsel als Reklame für eine dubiose Pinselmarke,
eine Köchin zeigt stolz das Resultat ihrer Arbeit,
natürlich das amerikanische Nationalgericht Truthahn.
Colonel W. F. Cody alias Buffalo Bill reitet unverdrossen
durch eine imaginäre Arena. Zum absurden Höhepunkt
kommt dieses Menschenbild in der hölzern-steifen
Abbildung des Kangaroo-Champ (ein Boxer, welcher gegen
ein Känguruh antritt, dem Känguruh, welches
an den Vorderläufen auch Boxhandschuhe trägt,
wird dabei vermutlich kein Schaden zugefügt). Der
Künstler erzählt, daß man dieses skurrile
Paar noch vor kurzem sogar in Wien als kleines Blechspielzeug
kaufen konnte, womit es sich als Traumpaar im Reigen der
Mythen des kleinen Mannes bestätigt. All diesen Figuren
ist eines gemeinsam, ihre liebenswürdige Friedlichkeit,
niemals greift der Künstler zu den heute in der Öffentlichkeit
so verbreiteten Bildern der Aggressivität, und selbst
der wilde Buffalo Bill tritt hier nur als harmloser Entertainer
auf. Obwohl Zadrazil uns versichert, daß es ihm
nur um die Malerei geht, kann vermutet werden, daß
sich in seinem Werk eine Vision vom friedlichen Leben
verbirgt.
Mit diesen Bildern hat Franz Zadrazil eine neuerliche
Klarstellung seiner künstlerischen Position erreicht.
So wie die von ihm so wunderbar gemalten Farben der Peinture
immer mit einer Haltung der Distanz von Exzeß und
Aggression verbunden sind, so spricht deutlicher als früher
seine Thematik von der Utopie einer urbanen Humanität.
Er, der selbst kein naiver Maler ist, erweist sich so
doch als ein Verwandter des Zöllners Rousseau, indem
er nämlich, ohne selbst naiv zu sein, die Naivität
ins Zentrum seiner Bilder stellt. Die Zeichen dafür
findet er nicht in exotischen Fernen oder gedachten Paradiesen,
sondern als Splitter und Fragmente auf den Häusern
in den unbeachteten Straßen der Stadt. |
Ulrich
Gansert
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